9. Oktober 2019 | BAG RelEx

Prävention und Sicherheit – Ein Rückblick

Wie kann Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlicher und sicherheitsbehördlicher Prävention gestaltet werden? Dieser Frage widmete sich unser zweiter diesjähriger Fachtag. Im Rahmen der Veranstaltung am 19. September 2019 haben wir uns gemeinsam mit Expert*innen dem Spannungsfeld der verschiedenen Perspektiven der Prävention von religiös begründetem Extremismus gewidmet. Denn wenn von Radikalisierungsprävention die Rede ist, können verschiedene Aspekte darunter verstanden werden.

Dr. Britta Hecking arbeitete im Eröffnungsvortrag mit der Unterscheidung des zivilgesellschaftlichen und des sicherheitspolitischen Ansatzes, unterschiedliche Perspektiven der Präventionsarbeit heraus. Beide Formen der Prävention folgen unterschiedlichen Logiken und haben verschiedene Perspektiven auf das Feld. Während sich die sicherheitspolitische Perspektive mit den Schlagworten “Jugend als Gefahr” zusammenfassen lässt, verfolgt die zivilgesellschaftliche Arbeit stärker den Aspekt der “Jugend in Gefahr”. Während sich letztere stärker an den Bedürfnissen der Jugendlichen und ihrer demokratischen Stärkung orientiert, stellt erstere die Verhinderung von Gefahren und den Erhalt der inneren Sicherheit in den Fokus ihrer Arbeit. Auch wenn beide Ansätze im gleichen Themenfeld ihre Anwendung finden, dem Umgang mit religiös begründetem Extremismus, sollten sie jedoch in ihren Besonderheiten wahrgenommen werden. Außerdem ist im Zuge der aktuellen Entwicklung zu beobachten, dass eine Versicherheitlichung der Politischen Bildung durch eine Fokussierung auf die (sicherheitspolitische Perspektive der) Präventionsarbeit stattfindet. Vor dem Hintergrund der Errungenschaften der zivilgesellschaftlichen Arbeit im Bereich Demokratieförderung, Politischer Bildung und Prävention ist dieser Ansatz, auch oder besonders im Falle von Kooperation mit Sicherheitsbehörden, zu wahren.

Obgleich sie sich in zwei voneinander verschiedene Grundperspektiven einteilen lassen, gibt es weder den einen zivilgesellschaftlichen Ansatz noch den einen sicherheitspolitischen Ansatz. Im Anschluss an den Vortrag von Dr. Britta Hecking widmete sich Prof. Dr. Werner Schiffauer den zwei verschiedenen Schulen innerhalb der sicherheitspolitischen Ansätze. Während sich der Klassische Ansatz repressiver Methoden bedient und stärker einer Misstrauenslogik folgt, ist der Integrative Ansatz näher an der pädagogischen Arbeit angesiedelt. Dieser setzt im Rahmen einer stärker auf Vertrauen basierenden Logik auf Kooperationen und präventive Maßnahmen, anstatt auf eine repressive Bekämpfung. Beide Ansätze stehen nach Schiffauer aktuell eher in einem konflikthaften Verhältnis, als dass sie sich situativ ergänzen. Sowohl Hecking als auch Schiffauer heben in ihren Vorträgen die Stigmatisierungsgefahr eines (klassisch repressiven) sicherheitspolitischen Ansatz in der Islamismus-Prävention hervor.

Im Kontext Prävention von religiös begründetem Extremismus hat sich die Debatte im vergangenen Jahrzehnt stark auf den Aspekt der Sicherheit fokussiert. Der Sicherheitsdiskurs hat sich dementsprechend auch im Gesamtdiskurs um den Islam zu einem der dominantesten herausgebildet. Die unterschiedlichen Ebenen der Auswirkungen des Sicherheitsdiskurs auf (muslimische) Jugendliche wurden von Amir Alexander Fahim beleuchtet. Durch den vorherrschenden Sicherheitsdiskurs kann es zu einer allgemeinen Unsicherheit im Umgang mit den Themenfeldern Islam und Islamismus – zum Beispiel aus Unwissenheit – kommen. Zudem kann eine stärkere Stigmatisierung bestimmter Gruppen und ein Generalverdacht gegen Personen muslimischen Glaubens befördert werden. Auf der Individualebene können bei Jugendlichen durch die gesellschaftliche Fokussierung auf den Sicherheitsaspekt, Konflikte in der Identitätsfindung ausgelöst oder verstärkt werden. Da Akteur*innen der Präventionsarbeit nicht außerhalb des gesellschaftlichen Diskurses stehen, sondern Teil desselben sind, sind sie aufgrund der Auswirkungen der Präventionsarbeit zu einer kritischen Selbstreflexion über Ansprache, Wahl des Zeitpunktes oder der Zielgruppe angehalten.

Behnaz Bleimehl ging in ihrem Input auf die Kindeswohlgefährdung als rechtlichen Aspekt der Präventionsarbeit ein. Durch das naturgemäße Älterwerden der Szene werden zunehmend auch Fragen im Kontext Erziehung und Kinder relevant. Da das Recht auf Erziehung nach Artikel 6 II des Grundgesetzes bei den Eltern liegt, können staatliche Institutionen nur in besonders gravierenden Fällen in die Erziehung der Kinder eingreifen. Dies ist beispielsweise gegeben, wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist. Der Sachverhalt der Kindeswohlgefährdung muss als unbestimmter Rechtsbegriff individuell geprüft werden. Eine bestimmte Religionszugehörigkeit der Eltern als solche ist dementsprechend kein Grund ist, eine Kindeswohlgefährdung anzunehmen. Ob eine bestimmte Art und Weise der Religionsausübung im Kontext der Erziehung zu einer Kindeswohlgefährdung führen kann, muss folglich stets im Einzelfall geprüft werden.

Im Zuge des Inputs von Sabina Ide wurde die polizeiliche Präventionsarbeit und die Rolle von Kontaktpolizist*innen thematisiert. Auch Ide betont die Relevanz einer möglichst stigmatisierungsarmen Kontaktaufnahme mit Jugendlichen und (migrantischen) Verbänden. Kontaktbeamt*innen treten ohne einen konkreten Anlass öffentlich in Erscheinung. Dadurch soll eine Form des Kontaktes ermöglicht werden, die weniger durch Vorbehalten belastet ist. Der Fokus liegt dabei auf Beziehungsarbeit und Austausch und nicht auf der Verfolgung von Straftaten. Um entsprechend wirkungsvoll zu sein, muss sich die Arbeit von Kontaktbeamt*innen jedoch in die Arbeitsweise der gesamten Polizeidienststelle einreihen und von dem*der Polizeidirektor*in unterstützt und gelebt werden.

Während des Fachtages hatten die Teilnehmenden die Gelegenheit, einen differenzierten Blick auf die unterschiedlichen Ansätze und Perspektiven der Präventionsarbeit zu erlangen. In kleineren Gruppen konnten sie sich vertiefend über einzelne Aspekte austauschen.

Wir bedanken uns herzlich für die Vorträge der Referent*innen und die anregenden Diskussionen während des Fachtages, sowie für die Unterstützung aller Beteiligten.

 

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