21. March 2022 | BAG RelEx

Demokratiefördergesetz – unsere Stellung­nahme

Als Dachorganisation von mehr als 30 zivilgesellschaftlichen Trägern der Radikalisierungsprävention setzen wir uns seit Langem für ein Demkratiefördergesetz ein und begrüßen die Entscheidung für den Beschluss eines solchen Gesetzes.  Lesen Sie hier unsere Stellungnahme zu dem Diskussionspapier.

Am 25. Februar 2022 hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und das Bundesministerium des Inneren und für Heimat (BMI) ein Diskussionspapier für ein Demokratiefördergesetz  veröffentlicht. Hier steht Ihnen unsere Stellungnahme zum Diskussionspapier für ein Demokratiefördergesetz (PDF) zur Verfügung.

 

Unsere Stellungnahme zum „Diskussionspapier von BMFSFJ und BMI für ein Demokratiefördergesetz“

Die BAG RelEx begrüßt ausdrücklich die eingeleiteten Schritte zum Beschluss eines Demokratiefördergesetzes. Wir begrüßen auch die Gelegenheit, eine Stellungnahme einreichen zu können und wünschen uns für den weiteren Prozess eine noch stärkere und transparentere Einbindung zivilgesellschaftlicher Träger zur fachlichen Beratung. Für den substanziellen Vorschlag eines Demokratiefördergesetzes darf auf die Expertise von Praktiker*innen der Demokratieförderung und Radikalisierungsprävention nicht verzichtet werden. Eine transparente Einbeziehung zur fachlichen Beratung ist aus unserer Perspektive essentiell für ein Demokratiefördergesetz.

Unsere Stellungnahme erfolgt in dem Bewusstsein, dass unter anderem mit der Klimakrise, der COVID-19 Pandemie und dem Krieg in der Ukraine bzw. dessen Folgen auch für Deutschland, große gesellschaftliche Herausforderungen vor uns stehen. Es wird noch wichtiger sein, on- und offline für einen gesellschaftlichen Zusammenhalt zu arbeiten, der die weltweiten Konflikte aber auch die Chancen von Globalisierung und Digitalisierung im Blick hat. Die gesellschaftlichen Transformationsprozesse haben, wie die letzten Jahre gezeigt haben, starke Auswirkungen auf das demokratische Zusammenleben. Die Verabschiedung eines Demokratiefördergesetzes zur Absicherung der Arbeit für Demokratie, Menschenrechte und Frieden wird damit noch dringlicher. Vor dem Hintergrund struktureller Ungleichheiten, den starken sozialen und politischen Veränderungen, mit denen unsere Gesellschaft gerade konfrontiert ist, sowie demokratiefeindliche und extremistische Angriffe auf das Gemeinwesen und die politischen Institutionen, ist ein starkes und umfangreiches Demokratiefördergesetz unerlässlich. Wir beziehen zum Diskussionspapier wie folgt Stellung:

 

  • Ziel des Demokratiefördergesetzes muss sein, im Rahmen der verfassungs- und haushaltsrechtlichen Vorgaben, Träger der Demokratieförderung und Radikalisierungsprävention aber auch Träger, die sich u. a. mit Antidiskriminierung, Rassismus (insbesondere antimuslimischem Rassismus), Opferberatung oder Vielfaltgestaltung beschäftigen, langfristig und nachhaltig strukturell abzusichern. Projekte lediglich über kurze Laufzeiten zu fördern, stellt keine nachhaltige und adäquate Absicherung dar. So erschweren kurze Projektlaufzeiten z. B. die Bindung geeigneten Fachpersonals und hiermit den langfristigen Aufbau von Erfahrungswissen. Dementsprechend wird auch die Weiterentwicklung von erfolgreichen Methoden der Demokratieförderung und z. B. Deradikalisierung beeinträchtigt. Eine konkrete Nennung von Möglichkeiten der Regelfinanzierung ist unerlässlich. Auch sind Regelungen zu treffen, die eine Förderung unabhängig von Kofinanzierungen ermöglichen. Grund dafür ist, dass der verwaltungstechnische Aufwand häufig dafür sorgt, dass die Personalressourcen nicht nur für die eigentliche Projektumsetzung genutzt werden können.
  • Neben einer strukturellen Absicherung von Trägern, die bundesweit für den Transfer und die Qualitätssicherung in Bezug auf Demokratieförderung und Prävention stehen, ist es zudem erforderlich, die Durchführung von Modellprojekten zur Erprobung neuer Ansätze zu ermöglichen. So kann Innovation ohne Druck erreicht werden, der andernfalls aufgrund fehlender nachhaltiger Förderung entsteht.
  • Die Auswahl der förderwürdigen Strukturen und Träger muss auf einer niedrigschwelligen Ebene erfolgen, die gleichzeitig adäquate, fachliche Qualitätskriterien beachtet und transparent ist. Die Vielfalt der zivilgesellschaftlichen Träger in Deutschland auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene ist einzigartig und muss unbedingt erhalten bleiben. Nur so können wir in Präventionsangeboten auf lokal spezifische Herausforderungen und Phänomene reagieren. Diese Vielfalt ermöglicht mehr Innovation und Flexibilität in Bezug auf aktuelle und zukünftige Herausforderungen. Insofern dürfen kleinere, aber erfahrene Träger nicht durch zu hohe Zugangsbarrieren ausgeschlossen werden. Insbesondere dürfen Migrant*innenselbstorganisationen (MSO) und muslimische Träger nicht strukturell benachteiligt werden. Auch ist bezüglich der Auswahl der förderwürdigen Strukturen und Träger eine Definition von Demokratieförderung und Prävention notwendig, die sich nicht auf die Orientierung an der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDGO) beschränkt. Die Kriterien dafür sollten gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Trägern entwickelt werden. Dabei ist ebenfalls zentral, dass die Strategie der Bundesregierung zur Extremismusprävention und Demokratieförderung konstant weiterentwickelt wird, um weitere Kriterien der Förderung festzulegen.
  • Generell darf die Absicherung der zivilgesellschaftlichen Träger nicht in Konkurrenz zu Regelstrukturen der Kinder- und Jugendhilfe und / oder politischen Bildungsarbeit verstanden werden. Die Angebote der Träger unterstützen Regelstrukturen dabei, ihre Aufgaben zu erfüllen und haben ihren eigenen spezifischen Auftrag, der unerlässlich für die Demokratieförderung und Extremismusprävention ist. Zivilgesellschaftliche Träger leisten seit mittlerweile Jahrzehnten nicht nur aber auch notwendige und essentielle Unterstützungsleistungen für die Regelstrukturen.
  • Bei Evaluationsmaßnahmen ist es erforderlich, dass Träger in die Planung und Entwicklung von Evaluationsdesigns miteinbezogen werden und Ergebnisse zur Optimierung der Maßnahmen beitragen. Hierfür müssen adäquate Strukturen z. B. in Form von unabhängigen Expert*innenkommissionen und Evaluationsinstitutionen benannt werden. Um erfolgreich Demokratieförderung und Prävention leisten zu können, ist es notwendig, dass Qualitätsstandards, Aufgaben und Rollen der Fachbereiche beachtet werden. Soziale Arbeit, politische Bildung, Intervention und Deradikalisierung sind auf Basis der jeweils eigenen Arbeitsinhalte und Standards zu evaluieren. Ergebnisse und Wirkung können nicht mit sicherheitsbehördlichen Kriterien gemessen und nicht von Sicherheitsbehörden durchgeführt werden. Evaluationen und Begleitforschungen müssen in den Fördervolumen eigene Finanzposten erhalten.
  • Strukturen zum Austausch auf Bundesebene zwischen zivilgesellschaftlichen Trägern sind notwendig, um Vernetzung, Fachaustausch und Weiterentwicklung gewährleisten zu können. Strukturen zum regelmäßigen Austausch zwischen (sicherheits-)behördlichen und zivilgesellschaftlichen Strukturen sind unter der Wahrung der unterschiedlichen Aufgaben und Rollen ebenfalls sinnvoll, um den Erfahrungsaustausch zu gewährleisten.
  • Notwendig ist es auch, diversitäts- und diskriminierungssensible Ansätze sowie Diversity-Mainstreaming und Antidiskriminierungsmaßnahmen in Behörden und Institutionen der Regelstrukturen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene zu fördern und weiter auszubauen. Präventionsarbeit muss ganzheitlich gedacht werden und kann nur gelingen, wenn alle Akteure der Demokratieförderung und Prävention Instrumente der kritischen Selbstreflexion und Optimierung institutionalisieren.
  • Trägern muss ermöglicht werden, nicht nur im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe tätig zu sein, sondern auch für ältere Zielgruppen Angebote machen zu können.
  • In einer gesetzlichen Regelung muss der Bereich des religiös begründeten Extremismus bzw. Prävention gegen Islamistischen Extremismus deutlich als Aufgabenfeld benannt werden. Förderungen sowohl im Bereich der Primärprävention / Universalprävention als auch der Distanzierungs-, Deradikalisierungs- und Ausstiegsberatung im Bereich des religiös begründeten Extremismus müssen sichergestellt werden. In der Ausstiegsberatung muss zudem sichergestellt werden, dass Klient*innen die freie Wahl haben, ob sie staatliche und / oder zivilgesellschaftliche Beratungen in Anspruch nehmen.
  • Neben unterschiedlichen Phänomenen des Extremismus müssen auch Elemente der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) benannt werden. Diese werden insbesondere in der primären Prävention thematisiert und stellen mitunter kein ausschließliches Merkmal eines einzelnen Extremismusphänomens dar, wie z. B. Sexismus, Antifeminismus oder Antisemitismus. Wenn es darum geht, demokratie- und menschenfeindlichen Denk- und Handlungsweisen in allen gesellschaftlichen Milieus fachgerecht und flexibel zu begegnen, müssen Förderlogiken phänomenspezifische aber auch phänomenübergreifende Zugänge im Blick haben.
  • Auch im Rahmen eines Demokratiefördergesetzes müssen die etablierten zivilgesellschaftlichen Strukturen der Demokratieförderung und Radikalisierungsprävention, wie beispielsweise die Kompetenzzentren, Kompetenznetzwerke, Bundesarbeitsgemeinschaften, und Träger, die seit Jahren erfolgreich in der Demokratieförderung und Radikalisierungsprävention arbeiten, aufgenommen und eine Fortführung ermöglicht werden. An Ressourcen und Know-how, dass in erfolgreiche Strukturen geflossen ist, muss angeknüpft werden.

 

Der Vorstand und die Koordination der BAG RelEx

 

Berlin, den 21. März 2022

overview