13. November 2023
Ligante#6 – Radikalisierung als Bewältigungsstrategie?
Bei der Betrachtung des Einzelfalls werden mögliche Erklärungen für eine Radikalisierung oftmals auf der individuellen Ebene verortet – dies ergibt jedoch ein nur unvollständiges Bild. Mit der Ligante#6 möchten wir die Diskussion um gesellschaftliche Zusammenhänge und Rahmenbedingungen in Hinblick auf eine islamistische Radikalisierung anregen. Zudem soll aufgezeigt werden, was im Bereich der Bildungs- und Präventionsarbeit diesbezüglich bereits umgesetzt wird und wie weitere Potenziale ausgeschöpft werden können.
Inwiefern kann Radikalisierung bzw. die Hinwendung zu extremistischen Ideologien und Gruppierungen auch als mögliche Bewältigungsstrategie angesichts struktureller gesamtgesellschaftlicher Problemlagen verstanden werden? Welche Implikationen ergeben sich hieraus für die Ausrichtung von Präventionsstrategien und -ansätzen? Diese Fragen beschäftigen nicht nur uns und so haben wir sie zum Thema der sechsten Ausgabe unserer Zeitschrift Ligante. Fachdebatten aus der Präventionsarbeit gemacht.
Hier können Sie die Ligante#6 als konventionelles oder barrierearmes PDF herunterladen. Wenn Sie sie lieber in Papierform lesen, können Sie die Ausgabe in gedruckter Version kostenfrei bei uns anfragen. Schreiben Sie uns dazu gerne eine E-Mail an info@bag-relex.de.
Radikalisierung als Bewältigungsstrategie angesichts struktureller Herausforderungen?
In Bezug auf Radikalisierungsverläufe werden in Forschung und Praxis zahlreiche Hinwendungsmotive diskutiert. Oft stehen persönliche beziehungsweise subjektive Motive wie das Streben nach Zugehörigkeit oder als krisenhaft erlebte individuelle Ereignisse im Fokus. Mit der Ligante#6 verlassen wir die subjektorientierte Perspektive und treten einen Schritt zurück, um uns mit strukturellen Faktoren auseinanderzusetzen, die im Bereich des islamistischen Extremismus eine Rolle spielen (können). Dabei schwingt die Frage mit, inwiefern Radikalisierung beziehungsweise die Hinwendung zu extremistischen Gruppierungen angesichts gesellschaftlicher und struktureller Faktoren als ein Bewältigungsmechanismus verstanden werden kann. Darüber hinaus gehen wir der Frage nach, wie die praktische Präventionsarbeit Individuen angesichts gesellschaftlicher Strukturen stärken und wie gleichzeitig auch an Strukturen gearbeitet werden kann.
Das erwartet Sie in der Ligante#6
Zu Beginn der Ausgabe geht Prof. Dr. Kurt Möller darauf ein, welche Rolle gesellschaftliche Strukturen in Affinisierungs- und Stabilisierungsprozessen von Radikalisierung spielen (können). Hierbei thematisiert er verschiedene gesellschaftliche Strukturen und bezieht auch das Zusammenspiel mit ihren subjektiven Deutungen ein. Die darauffolgenden Artikel greifen jeweils einen strukturellen gesellschaftlichen Faktor auf und diskutieren diesen in Bezug auf mögliche Auswirkungen auf eine islamistische Radikalisierung von Individuen. Es geht dabei nicht darum, eine Kausalität zwischen gesellschaftlichen Strukturen und einer extremistischen Radikalisierung nachzuzeichnen. Vielmehr wollen wir in dieser Ausgabe der Ligante strukturelle gesellschaftliche Aspekte stärker in den Blick nehmen. Während Prof. Dr. Sebastian Kurtenbach und Linda Schumilas (FH Münster) den Sozialraum und soziale Segregation in den Blick nehmen, legt Fatima El Sayed (BIM, Humboldt-Universität zu Berlin) in ihrem Artikel den Fokus auf antimuslimischen Rassismus als Strukturmerkmal und skizziert unter anderem, wie sich dieser auf die Lebensrealität auswirkt und durch extremistische Akteure instrumentalisiert wird.
Mit dem zweiten Kapitel wenden wir uns der praktischen Arbeit zu: In vier Artikeln beleuchten die Autor*innen, wie dem zuvor Skizzierten auf individueller oder struktureller Ebene begegnet werden kann. Dr. Hande Abay Gaspar (FGZ und PRIF) widmet sich in ihrem Beitrag einer kritischen Betrachtung der Islamismusprävention hinsichtlich (nicht intendierter) stigmatisierender Auswirkungen. Dabei beleuchtet sie sowohl strukturelle Rahmenbedingungen als auch die Einschätzung und den Umgang von Praktiker*innen der Präventionslandschaft. In Artikel fünf legen Dr. Tim Müller (BIM, Humboldt-Universität zu Berlin) und Dr. Jochen Müller (ufuq.de) den Fokus auf Resilienz(förderung) und betrachten die positiven Effekte des sozialpsychologischen Konzepts der Self-Affirmation. Im darauffolgenden Artikel diskutiert Emeti Alisch (BGSS, Humboldt-Universität zu Berlin) die politische Repräsentation im Spiegel gesellschaftlicher Pluralität und arbeitet heraus, wie Partizipation kurzfristig und langfristig gefördert werden kann; ihre Ausführungen stützt sie unter anderem auf die Ergebnisse des Projekts Muslimisch gelesene Vielfalt im Gespräch der Türkischen Gemeinde in Deutschland e. V. Nicht zuletzt gehen Claudia Dantschke (Beratungsstelle Leben, Grüner Vogel e. V.) und Susanne Wittmann (Grenzgänger ProKids, IFAK e. V.) der Frage nach, wie die Reintegration von Rückkehrer*innen aus dem sogenannten Islamischen Staat sowie deren Kinder gelingen kann und was benötigt wird, um sie auf individueller und struktureller Ebene zu stärken. Wie in Kapitel eins stehen auch die Themen, die in Kapitel zwei mit einem Fokus auf die praktische Arbeit diskutiert werden, nicht in einem kausalen Bezug zu einer Radikalisierung.
Mit der Ligante#6 möchten wir die Diskussion um gesellschaftliche Zusammenhänge und Rahmenbedingungen in Hinblick auf eine islamistische Radikalisierung anregen. Zudem soll aufgezeigt werden, was im Bereich der Bildungs- und Präventionsarbeit diesbezüglich bereits umgesetzt wird und wie weitere Potenziale ausgeschöpft werden können.
Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.
Die Koordination der BAG RelEx
Hier können Sie die Ligante#6 als konventionelles oder barrierearmes PDF herunterladen. Wenn Sie sie lieber in Papierform lesen, können Sie die Ausgabe in gedruckter Version kostenfrei bei uns anfragen. Schreiben Sie uns dazu gerne eine E-Mail an info@bag-relex.de. Denjenigen von Ihnen, die unsere Arbeit en détail verfolgen, ist sicher aufgefallen, dass wir dem Thema im September 2023 bereits einen Fachtag gewidmet haben. Hier finden Sie weitere Informationen zu unserem Fachtag und der Schwerpunktlegung dieser Veranstaltung.
Die Ligante haben wir 2018 ins Leben gerufen, um die Debatten, die in unserem Fachbereich geführt werden, und die Themen, die wir als BAG RelEx anstoßen, einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Das Wort Ligante ist Esperanto und bedeutet Verknüpfung. Denn genau an dieser Stelle setzen wir an: Wir verknüpfen nicht nur Expert*innen innerhalb der zivilgesellschaftlichen Präventionsarbeit gegen religiös begründeten Extremismus, sondern stellen auch Verbindungen zu anderen Arbeitsbereichen, Netzwerken und Institutionen her. Hier finden Sie einen Überblick über alle Ausgaben der Ligante. Fachdebatten aus der Präventionsarbeit.