1. Juli 2025

„Marginalisierte Stimmen brauchen Zugang zur Deutungsmacht!“

Die neuen deutschen organisationen interviewten Maida Ganević anlässlich der Aktionswochen gegen  antimuslimischen Rassismus 2025. 

Wie erklärst Du Dir, dass antimuslimischer Rassismus trotz jahrzehntelanger Migrationsgeschichte und gesellschaftlicher Vielfalt weiterhin so stark verbreitet ist?

Eine mögliche Erklärung für die anhaltende Verbreitung antimuslimischen Rassismus liegt paradoxerweise möglicherweise gerade in der zunehmenden gesellschaftlichen Vielfalt selbst. So stellt eine plural und heterogen zusammengesetzte Gesellschaft dominante Vorstellungen eines homogenen nationalen Selbstbildes infrage. Nachkommen ehemals Migrierter und andere marginalisierte Gruppen treten zunehmend als selbstverständlicher Teil der Öffentlichkeit auf. Gemeint ist: In einer Gesellschaft, in der marginalisierte Gruppen verstärkt Ansprüche auf Teilhabe, Anerkennung und Gerechtigkeit erheben, formieren sich auch verstärkt pluralitätsabwehrende Kräfte, die diese Entwicklungen ablehnen.

Das gesellschaftspolitische Aufgreifen von Narrativen über eine „deutsche Leitkultur“ oder langjährige Debatten darüber, ob Deutschland nun ein Einwanderungsland sei oder nicht, machen deutlich, dass eine „Gesellschaft der Vielen“ allein durch ihre Präsenz und ihren Forderungen nach Zugehörigkeit immer wieder auf Widerstand trifft. Vor diesem Hintergrund erscheint es kaum verwunderlich, dass antimuslimischer Rassismus weiterhin ein weit verbreitetes gesellschaftliches Phänomen darstellt. Antimuslimischer Rassismus erfüllt in diesem Sinne eine Ordnungsfunktion: Er grenzt aus, wo Gleichheit gefordert wird und verteidigt ein Leitbild, das sich durch die Sichtbarkeit von Vielfalt bedroht fühlt. Rechte Gewalt und rassistische Diskurse sind in diesem Zusammenhang nicht nur Angriffe auf Einzelne, sondern auf die Idee einer offenen, postmigrantischen Gesellschaft als Ganzes.

Zugleich wäre es verkürzt zu glauben, dass allein der Grad gesellschaftlicher Vielfalt über das Ausmaß rassistischer Diskriminierung entscheidet. Gerade beim antimuslimischen Rassismus zeigt sich beispielsweise, dass es nicht die tatsächliche Anwesenheit von Muslim*innen braucht, damit er wirkt: So genügt es bereits, als muslimisch markiert oder wahrgenommen zu werden. Antimuslimischer Rassismus – ähnlich wie andere Rassismusformen – ist nicht zwangsläufig an konkrete Erfahrungen oder reale Begegnungen gebunden, sondern basiert auf einem imaginierten Bild des „Anderen“.

Antimuslimisch motivierte Vorfälle beruhen daher nicht nur auf individuellen Vorurteilen oder persönlichen Einstellungen, sondern sind tief eingebettet in gesellschaftliche Strukturen. Sie wirken auf institutioneller und struktureller Ebene und werden durch Prozesse des Othering stetig reproduziert. Dadurch treten sie gesamtgesellschaftlich in Erscheinung – unabhängig davon, wie viele Muslim*innen bzw. Personengruppen, die als muslimisch wahrgenommen werden im Alltag präsent sind oder wie vielfältig eine Gesellschaft tatsächlich ist.

Welche Verantwortung tragen Politik, Medien und Bildungseinrichtungen, wenn es um die Reproduktion und Verstärkung antimuslimischer Stereotype geht?

Wie wirkt sich der Mangel an Repräsentation von Menschen mit muslimischer Zugehörigkeit in Politik, Medien und Schlüsselpositionen auf das gesellschaftliche Klima aus?

Was müsste sich ändern, damit muslimische Stimmen und Perspektiven selbstverständlich in gesellschaftlichen Diskursen gehört und berücksichtigt werden?

Politik, Medien und Bildungseinrichtungen tragen eine zentrale Verantwortung für die Reproduktion und Verstärkung antimuslimischer Stereotype, da sie maßgeblich an der Produktion gesellschaftlicher Deutungsmuster beteiligt sind. Wissenschaftliche Arbeiten belegen immer wieder, dass insbesondere in der Medienberichterstattung, in politischen Debatten, Schulmaterialien sowie in der Populärkultur ein undifferenziertes und eindimensionales Islambild vorherrscht. Dieses ist häufig geprägt von orientalistischen Motiven wie Rückständigkeit, Gewalt oder Fremdheit.

Solche Darstellungen wirken nicht isoliert, sondern entfalten symbolische Macht, die sich in der Realität manifestiert: Sie strukturieren Wahrnehmungen, legitimieren soziale Ausschlüsse und verstärken reale Diskriminierung – etwa im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt oder im alltäglichen Zusammenleben. Der Mangel an differenzierter Repräsentation prägt somit das gesellschaftliche Klima in vielfacher Hinsicht – nicht nur, weil muslimische Menschen/muslimisch gelesene Menschen verzerrt dargestellt werden, sondern auch, weil diese Verzerrungen beeinflussen, wie die Gesellschaft ihnen begegnet: häufig mit Misstrauen, Abwertung oder Exotisierung.

Gleichzeitig lässt sich festhalten, dass in den vergangenen Jahrzehnten durchaus bedeutsame Fortschritte im Bereich der Repräsentation erzielt wurden. Muslimische Akteur*innen sowie weitere marginalisierte Stimmen sind in Politik, Kultur und insbesondere im Medienbereich zunehmend sichtbarer geworden. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen in Deutschland – darunter etwa „die Neuen Deutschen Medienmacher:innen“ – haben dazu beigetragen, Diversität im Journalismus zu fördern und mehr Sensibilität für diskriminierende Narrative in der Berichterstattung zu schaffen.

Dennoch bleibt vieles unzureichend – insbesondere dort, wo strukturelle Veränderungen ausbleiben oder erzielte Fortschritte nicht nachhaltig gesichert werden. Jüngste Entwicklungen, etwa in den USA, zeigen, wie rasch Diversitäts- und Inklusionsprogramme unter gesellschaftspolitischen Druck geraten können. Wenn Unternehmen auf Antidiskriminierungsmaßnahmen verzichten oder diese gezielt zurückfahren, wird deutlich, wie fragil Errungenschaften im Bereich Gleichstellung und Repräsentation letztlich sind.

Daraus ergibt sich aus meiner Sicht eine doppelte Verantwortung: Zum einen müssen stereotype Repräsentationen – insbesondere in etablierten Medienhäusern – konsequent hinterfragt und aufgebrochen werden. Zum anderen braucht es strukturelle Veränderungen, die muslimische Stimmen aktiv fördern. Erforderlich sind gezielte Fördermechanismen für vielfältige und selbstbestimmte muslimische Perspektiven – in Redaktionen, Bildungseinrichtungen, politischen Gremien und kulturellen Institutionen. Nur wenn marginalisierte Stimmen tatsächlichen Zugang zu Deutungsmacht erhalten, kann sich der öffentliche Diskurs pluralisieren. Repräsentation, kritische Medienbildung und eine bewusste Öffnung dominanter Deutungsmuster sind dabei zentrale Bausteine.

Inwiefern ist das Neutralitätsgesetz aus Deiner Sicht ein Beispiel für institutionellen Rassismus? Welche Alternativen schlägst Du für eine wirklich inklusive und diskriminierungsfreie Verwaltung vor?

Das Neutralitätsgesetz kann als Ausdruck institutionellen Rassismus gewertet werden, da es strukturelle Barrieren für bestimmte Bevölkerungsgruppen schafft und aufrechterhält. Besonders betroffen sind bekannterweise Frauen, die sich für das Tragen eines Kopftuchs entschieden haben: Für sie stellt das Gesetz eine erhebliche Zugangshürde zum öffentlichen Dienst dar und führt in vielen Fällen dazu, dass sie ihren angestrebten Beruf gar nicht erst ausüben können. In der Praxis wirkt es somit exkludierend.

Ein möglicher Ansatzpunkt für Veränderung liegt sicherlich in den stockenden Reformbemühungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Um Verwaltungen insgesamt inklusiver und diskriminierungsfreier zu gestalten, bedarf es jedoch vor allem einer rassismuskritischen Öffnung und Professionalisierung des Verwaltungshandelns als solches. Insbesondere Städte und Kommunen können hierbei eine zentrale Rolle einnehmen, etwa indem sie gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung antimuslimischen Rassismus in ihre lokalen Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsstrategien integrieren oder eigene Aktionspläne entwickeln. Neben Schulungen und Sensibilisierungsmaßnahmen wären regelmäßige, systematische Bestandsaufnahmen innerhalb der Verwaltungen ein wichtiger erster Schritt: Wo stehen wir aktuell im Kampf gegen verschiedene Diskriminierungs- und Rassismusformen? Wo bestehen Lücken und Verbesserungspotenziale? Welche Fortschritte wurden bereits erzielt?

Wie erleben junge Muslim*innen die Auswirkungen solcher Gesetze auf ihre Bildungs- und Berufschancen?

Regelungen wie das Neutralitätsgesetz entfalten für junge Muslim*innen – insbesondere für Frauen, die sich für das Tragen eines Kopftuchs entschieden haben – oftmals exkludierende Wirkungen im Hinblick auf ihre Bildungs- und Berufswege. Bereits im Übergang von der Schule in Ausbildung oder Studium erscheinen bestimmte Berufsfelder dadurch faktisch unzugänglich. Die vermittelte Botschaft, dass religiöse Ausdrucksformen mit bestimmten beruflichen Rollen nicht vereinbar seien, führt bei vielen Betroffenen zu einer tiefgreifenden Verunsicherung hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunftsplanung.

Ein Teil der Betroffenen sieht sich daher gezwungen, von ursprünglich angestrebten Berufszielen abzurücken und alternative Karrierepfade einzuschlagen, die mit den eigenen Interessen und Qualifikationen mitunter nur bedingt übereinstimmen. Konkret bedeutet dies oftmals auch, zwischen beruflicher Verwirklichung und religiöser Selbstbestimmung entscheiden zu müssen – allein um institutionellen Hürden zu entgehen.

In der Lebensrealität vieler Betroffener werden Regelungen wie das Neutralitätsgebot daher als Manifestation struktureller Ausgrenzung wahrgenommen. Nicht ihre Kompetenzen oder Qualifikationen entscheiden ausschlaggebend über ihre beruflichen Möglichkeiten, sondern äußere Merkmale und religiöse Zugehörigkeit. Langfristig untergräbt dies nicht nur individuelle Bildungs- und Berufschancen, sondern auch das Vertrauen in staatliche Institutionen sowie das Gefühl gesellschaftlicher Zugehörigkeit.

Welche Rolle spielen postmigrantische Netzwerke und Selbstorganisationen bei der Unterstützung von Betroffenen und im Kampf gegen antimuslimischen Rassismus?

Postmigrantische Netzwerke und Formen der Selbstorganisation leisten auf vielfältige Weise einen wichtigen Beitrag zur Bearbeitung von antimuslimischem Rassismus. Insbesondere für Betroffene, deren Perspektiven im gesellschaftlichen Diskurs oft nur unzureichend berücksichtigt werden, schaffen solche Zusammenschlüsse Räume der gegenseitigen Unterstützung und des kollektiven Empowerments.

Darüber hinaus schaffen sie durch ihre Bildungsarbeit, Öffentlichkeitskampagnen und politischen Interventionen Aufmerksamkeit gegenüber vielfältigen muslimischen Realitäten und gestalten den öffentlichen Diskurs aktiv mit.

In einer durch Migration geprägten Gesellschaft sind sie damit unverzichtbare Akteure – sowohl in der Unterstützung von Betroffenen antimuslimischen Rassismus als auch in der aktiven Mitgestaltung einer inklusiven Gesellschaft für alle hier lebenden Bürger*innen, indem sie an der Aushandlung von Repräsentation, gesellschaftlicher Zugehörigkeit und Teilhabe mitwirken.

Wie kann Empowerment von Betroffenen gestärkt und die Solidarität mit anderen marginalisierten Gruppen ausgebaut werden?

Um Empowermentprozesse zu stärken, braucht es vor allem verlässliche und langfristig angelegte Strukturen: Beratungsstellen, Begegnungsräume, Bildungsangebote sowie die Bereitstellung von Ressourcen, die Betroffene nicht nur adressieren, sondern aktiv in der Umsetzung einbeziehen.

Empowerment ist dabei immer auch auf Austausch und Vernetzung angewiesen. Durch die Schaffung vielfältiger gemeinsamer Räume – etwa in Form von Community-Treffen, Veranstaltungsreihen oder Workshops mit und ohne Betroffene – können Erfahrungen geteilt, Wissen gemeinsam weiterentwickelt und neue Handlungsspielräume eröffnet werden.

Auch der Ausbau von Solidarität mit anderen marginalisierten Gruppen ist dabei zentral und setzt bewusste Bündnisarbeit voraus. Gemeinsame Erfahrungen gesellschaftlicher Marginalisierung, aber auch geteilte Visionen von Gerechtigkeit und Teilhabe, können eine tragfähige Grundlage für Allianzen bilden. Doch Solidarität entsteht nicht von selbst – sie muss wachsen, gepflegt und gegenüber inneren wie äußeren Spannungen gestärkt werden. Gerade in einem politischen Klima, das migrantisierte und rassifizierte Akteur*innen zunehmend gegeneinander in Konkurrenz setzt, brauchen solidarische Bündnisse geschützte Räume und Zeit, um Vertrauen aufzubauen. Auch hierfür ist gezielter struktureller Kapazitätsaufbau notwendig – um Menschen diese Räume überhaupt erst zugänglich zu machen.

Welche Vision hast Du für eine postmigrantische Gesellschaft, in der antimuslimischer Rassismus keinen Platz mehr hat?

Die Vision einer postmigrantischen Gesellschaft, in der antimuslimischer Rassismus keinen Platz mehr hat, beruht auf dem Verständnis von Vielfalt als gesellschaftlicher Normalität. Sie verabschiedet sich von der Vorstellung kultureller Homogenität und erkennt an, dass Heterogenität, Hybridität und Pluralität konstitutive Elemente des sozialen Miteinanders sind. Der konstruktive Umgang mit Differenz bildet dabei die Grundlage für ein demokratisches Zusammenleben. Zugehörigkeit bemisst sich nicht an Herkunft oder Religion, sondern an der Möglichkeit gleichberechtigter Teilhabe und Anerkennung. Eine solche Gesellschaft richtet sich nicht an fremdbestimmten Zuschreibungen, sondern an der gemeinsamen Aushandlung von Zusammenhalt unter Bedingungen realer Diversität.

Was sind konkrete erste Schritte, die Politik und Zivilgesellschaft jetzt gehen müssen, um einen echten Wandel herbeizuführen?

Ein wirkungsvoller Wandel kann langfristig nur durch Investitionen in Prävention und eine Politik gelingen, die allen Formen von Rassismus entschieden entgegentritt. Dazu gehört insbesondere die Verabschiedung eines Demokratiefördergesetzes – sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene. Nur so kann dauerhaft sichergestellt werden, dass die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich aktiv gegen Extremismus und für eine offene Gesellschaft einsetzen, strukturell und nachhaltig unterstützt werden

Warum ist es wichtig, dass zivilgesellschaftliche Organisationen wie Claim eigene Zahlen erheben und veröffentlichen? Was fehlt in der staatlichen Erfassung und Anerkennung von antimuslimischem Rassismus?

Die Polizeiliche Kriminalstatistik bildet vor allem das sogenannte Hellfeld ab – also jene Fälle, die tatsächlich zur Anzeige gebracht und als politisch motiviert eingestuft werden. Zahlreiche Vorfälle werden jedoch nicht gemeldet – unter anderem, weil Betroffene wenig Vertrauen in staatliche Stellen haben oder sich nicht ausreichend gehört fühlen. Selbst bei einer Anzeige bleibt das Tatmotiv „antimuslimisch“ mitunter unerkannt. Dies hängt u.a. auch mit konzeptionellen Leerstellen und fehlender Sensibilisierung im Umgang mit antimuslimischem Rassismus im polizeilichen Alltag zusammen.

Gerade hier kommt zivilgesellschaftlichen Monitoringeinrichtungen eine zentrale Funktion zu: Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Aufhellung des sogenannten Dunkelfelds. Durch niedrigschwellige und vertrauensbasierte Meldewege machen sie Formen antimuslimischen Rassismus sichtbar, die sonst oft unbeachtet blieben – und ergänzen damit die staatliche Statistik in entscheidender Weise.

Langfristig erscheint es wichtig, institutionalisierte Gesprächskanäle zwischen zivilgesellschaftlichen Monitoringeinrichtungen und kriminalpolizeilichen Meldestellen im Kontext von antimuslimischem Rassismus aufzubauen. Ein regelmäßiger Austausch, gegenseitiges Lernen und die Entwicklung gemeinsamer Standards könnten dazu beitragen, die Qualität und Reichweite der Erfassung zu verbessern, bestehende Lücken zu schließen und das Vertrauen von Betroffenen zu stärken. Solche Strukturen sind unerlässlich, um eine umfassendere, differenziertere und gemeinsam getragene Datenbasis im Umgang mit antimuslimischem Rassismus zu schaffen.

Wie kann die Sichtbarkeit von Alltagsrassismus erhöht werden, ohne Betroffene zu stigmatisieren oder zu retraumatisieren?

Die Sichtbarkeit von Alltagsrassismus zu erhöhen, ohne Betroffene zu stigmatisieren oder zu retraumatisieren, erfordert u. a. eine Verschiebung der gesellschaftlichen Verantwortung. Das Offenlegen rassistischer Strukturen und von Alltagsrassismen wird bislang häufig von den Betroffenen selbst getragen. Damit entsteht die Gefahr, dass der Eindruck entsteht, (antimuslimischer) Rassismus sei vor allem nur ein Problem derjenigen, die ihn erleben. Auf diese Weise wird (antimuslimischer) Rassismus individualisiert und nicht als gesamtgesellschaftliche Herausforderung verstanden.

Wichtig ist dabei, Räume zu schaffen, in denen Betroffene ihre Erfahrungen freiwillig und geschützt teilen können, ohne „emotional ausgebeutet“ zu werden. Gleichzeitig sollten jedoch auch nicht-betroffene Menschen in die Verantwortung genommen werden, Rassismus zu benennen, sich mit ihren eigenen Privilegien auseinanderzusetzen und solidarisch zu handeln.

Allyship sollte dabei nicht vom individuellen Engagement Einzelner abhängen, sondern als gesamtgesellschaftliche Verantwortung strukturell verankert werden. Um dies voranzutreiben, wären sicherlich institutionalisierte Fortbildungsangebote und Programme notwendig, die zur kritischen Reflexion der eigenen gesellschaftlichen Positionierung anregen und Menschen befähigen, Alltagsrassismus zu erkennen und ihm im Alltag entschieden entgegenzutreten. Niedrigschwellige Meldestrukturen, die in der öffentlichen Wahrnehmung nicht nur Betroffene, sondern auch nicht-betroffene Zeug*innen gezielter ansprechen, könnten in diesem Kontext ebenfalls eine wichtige Rolle spielen – um Verantwortung breiter zu verteilen und Alltagsrassismus konsequent sichtbar zu machen.

Wie, glaubst Du, erleben Menschen, die mehrfach marginalisiert sind – zum Beispiel muslimische Frauen, queere Muslim*innen oder Menschen mit Behinderung – antimuslimischen Rassismus?

Welche Strategien braucht es, um auch diese Perspektiven in den Kampf gegen Rassismus einzubeziehen?
Menschen, die an mehreren gesellschaftlichen Positionen marginalisiert sind – wie muslimische Frauen, queere Muslim*innen oder Muslim*innen mit Behinderung – erfahren antimuslimischen Rassismus häufig in komplexen und spezifischen Formen. Ihre Erfahrungen sind Ausdruck verschränkter Diskriminierungsverhältnisse und wirken intersektional. So kann die Erfahrung von antimuslimischem Rassismus bei muslimischen Frauen of Colour deutlich anders sein als bei weißen muslimischen Männern.

Ein wirksamer Kampf gegen antimuslimischen Rassismus muss diese Überschneidungen nicht nur berücksichtigen, sondern zum Ausgangspunkt seiner Strategien machen.
Intersektionale Perspektiven ermöglichen es, Formen von Ausgrenzung nicht isoliert zu analysieren, sondern sie als Bestandteile eines verwobenen Machtgefüges zu begreifen.
Gerade hier zeigt sich, inwiefern intersektionale Zugänge neue Perspektiven auf gemeinsame Solidaritäten eröffnen: Sie machen Verbindungen zwischen unterschiedlichen Unterdrückungserfahrungen sichtbar und tragen dazu bei, geteilte politische Kämpfe nicht als konkurrierend, sondern als miteinander verwoben zu denken.

 

Autorin: Maida Ganevic ist Politik- und Islamwissenschaftlerin und als Referentin für interreligiöse Zusammenarbeit bei der BAG RelEx tätig. Sie arbeitet unter anderem im Projekt KN:IX connect | Verbund Islamismusprävention und Demokratieförderung mit. KN:IX connect wird im Rahmen des Bundesprogramms Demokratie leben! des Bundesministeriums für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) sowie durch das Berliner Landesprogramm Radikalisierungsprävention gefördert.

 

Das Interview erschien erstmals bei den neuen deutschen organisationen, wir bedanken uns für die Möglichkeit, es auf unserer Website zu veröffentlichen.

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