14. November 2025 | Neue Publikation des Vereins Grüner Vogel e. V.
„Zwischen Haft und Rückkehr – Politische Optionen im Umgang mit inhaftierten IS-Anhängern deutscher Herkunft“
Was soll mit den knapp über 40 männlichen Mitgliedern des Islamischen Staates passieren, die aus Deutschland kommen und in Nordostsyrien in Haft sind? Diese sogenannten Foreign Terrorist Fighters (FTF) haben keinen Zugang zu rechtsstaatlichen Verfahren, Rechtsbeistand oder ausreichender medizinischer Betreuung. Sie machen nur einen Bruchteil der rund 9.000 männlichen Mitglieder des Islamischen Staates aus, die in dem von der kurdisch geführten Haftsystem verbleiben. Ob dieses Haftsystem weiter existieren kann, ist aufgrund der äußerst instabilen Sicherheitslage in Syrien fraglich.
Die Situation der männlichen IS-Angehörigen steht symbolisch für eine tiefgreifende sicherheitspolitische, rechtliche und humanitäre Verantwortung – nicht zuletzt, weil ihr anhaltender Verbleib in rechtlosem Gewahrsam von extremistischen Milieus als Märtyrer-Narrativ aufgegriffen und unter Jugendlichen radikalisierungsfördernd weiterverbreitet werden kann. In der Publikation des Vereins Grüner Vogel e. V. thematisieren Fabian Wichmann, Hanno Schedler und Claudia Dantschke die Sicherheits- und Haftsituation in Nordostsyrien. Außerdem skizzieren sie das deutsche Modell von gemeinnützigen Beratungsstellen mit Schwerpunkten in der Deradikalisierungsarbeit, Rückkehrbegleitung und familiären Krisenintervention im Kontext von religiös begründetem Extremismus. Dieses Modell hat sich bei den Rückholungen von weiblichen IS-Angehörigen und deren Kindern nach Deutschland als erfolgreich erwiesen.
Hier finden Sie die Publikation zum Download.
Die Autor*innen machen folgende Empfehlungen:
- Aufklärung über den Verbleib und Gesundheitszustand der Inhaftierten
Die Bundesregierung sollte bestehende diplomatische Kanäle zur syrischen Übergangsregierung und zur Autonomieverwaltung Nordostsyriens (AANES) nutzen, um aktuelle Informationen über den Verbleib und den Gesundheitszustand deutscher Gefangener in Nordostsyrien zu erlangen. - Zugang für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) gewährleisten
Es ist erforderlich, sich aktiv dafür einzusetzen, dass das IKRK-Zugang zu den Haftanstalten erhält, in denen sich deutsche Staatsangehörige befinden. Dies schließt die Möglichkeit ein, den Gefangenen Briefe ihrer Familien zukommen zu lassen sowie selbst Kontakt nach außen aufnehmen zu können. - Rechtsstaatliche Mindeststandards sicherstellen
Die Bundesregierung sollte darauf hinwirken, dass deutsche Gefangene in Nordostsyrien Zugang zu anwaltlichem Beistand erhalten – sei es durch Mandatierung eigener Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte oder durch Vermittlung entsprechender Kontakte. - Gestufte Rückführung mit klaren Kriterien vorbereiten
Es wird empfohlen, die Rückführung männlicher Gefangener in mehreren Phasen vorzubereiten – orientiert an den Verfahren der vergangenen Rückführungen von Frauen und Kindern. Dabei sollten Rückkehrwilligkeit, Gesundheitszustand und mutmaßliche Straftaten berücksichtigt werden. - Koordination von Rückkehr, Strafverfolgung und Reintegration stärken
Es sollte ein interdisziplinäres und bundesweit koordiniertes Verfahren etabliert werden, das die Rückführung mit rechtsstaatlicher Strafverfolgung sowie strukturierter Deradikalisierungs- und Integrationsarbeit verbindet. Neben den Justiz- und Sicherheitsbehörden sind hierfür insbesondere spezialisierte Beratungsstellen, psychosoziale Fachkräfte sowie Rückkehrkoordinator*innen auf Landesebene einzubeziehen.
Das stabile institutionelle Netzwerk, das in Deutschland aufgebaut wurde, ermöglicht auch die Rückführung männlicher IS-Gefangener kontrolliert, rechtsstaatlich und professionell abzusichern, sofern die politische Entscheidung zur Rückholung getroffen wird. Eine Rückholung würde es den deutschen Behörden zudem ermöglichen, Informationen über Netzwerke, Logistik und andere Mittäter*innen zu erhalten, was bei der Prävention neuer Anschläge und der Strafverfolgung bislang unbekannt gebliebener IS-Unterstützer*innen helfen würde.