18. Dezember 2025 | BAG RelEx
„Rechtsruck und islamistische Radikalisierung“ – Rückblick zum Forum:RelEx
Unser diesjähriges Forum:RelEx fand unter dem Titel „Rechtsruck und islamistische Radikalisierung, Wechselwirkungen, Herausforderungen und Prävention“ am 12. und 13. November statt. Lesen Sie hier den Rückblick.
Rechtspopulistische Akteur*innen und autoritäre Diskurse gewinnen in Europa zunehmend an Einfluss. Insbesondere seit der sogenannten Flüchtlingskrise werden Debatten über Flucht, Migration und den (vermeintlichen) Zusammenhang mit islamistischer Radikalisierung immer stärker polarisiert geführt.
Unter der Überschrift „Rechtsruck und islamistische Radikalisierung – Wechselwirkungen, Herausforderungen und Prävention“ diskutierten die Teilnehmenden am 12. & 13. November in Berlin über aktuelle Entwicklungen und gesellschaftliche Veränderungen, die die Präventionsarbeit zunehmend prägen.
Nach der Begrüßung durch Jamuna Oehlmann (BAG RelEx) und Lamya Kaddor (MdB, Bündnis 90/Grüne & Beirat KN:IX connect) sprach Dr. Cemal Öztürk (Universität Duisburg-Essen) in seiner Keynote über muslimfeindliche und islamistische Co-Radikalisierung in Deutschland und rückte dabei sowohl theoretische Überlegungen als auch empirische Befunde in den Fokus. Er kam zu dem Ergebnis, dass muslimfeindliche Einstellungen und islamistische Radikalisierungen in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen und durch verschiedene ideologische Faktoren befördert werden. Zugleich betonte er, dass die Befunde nur eine Momentaufnahme darstellen, da sie stark von aktuellen globalen Entwicklungen beeinflusst werden.
Dr. Sabrina Schmidt (Universität Erfurt) analysierte im Anschluss die Medienberichterstattung über islamistischen Terrorismus, identifizierte dominante Narrative sowie politische Wechselwirkungen und zeigte deren gesellschaftliche Folgen auf. In ihrer Keynote plädierte sie dafür, mehr Sachlichkeit und journalistische Sorgfalt walten zu lassen, auf sensationalistische Darstellungen und vorschnelle Verdächtigungen zu verzichten, kein terroristisches Propagandamaterial zu verwenden und der Perspektive der Opfer mehr Raum zu geben.
Der inhaltliche Teil des ersten Tages wurde durch eine Podiumsdiskussion abgerundet, bei der Silke Baer (cultures interactive e. V., Vorstand BAG RelEx), Jamuna Oehlmann (BAG RelEx) & Anton Vereshchagin (Wegweiser Ostbelgien) diskutierten darüber, wie der gesellschaftliche Rechtsruck in Deutschland und Europa das Klima für zivilgesellschaftliche Akteure, insbesondere in der Präventionsarbeit verändert – und was man den aktuellen Herausforderungen entgegensetzen kann.
Den Abschluss des Tages bildete ein Netzwerkabend, bei dem Mitgliedsorganisationen der BAG RelEx ihre Projekte präsentieren konnten und die Teilnehmenden die Möglichkeit zum offenen Austausch hatten.
Am zweiten Veranstaltungstag boten mehrere Workshops Raum für Vertiefung und Diskussion.
Im Workshop Trauma und Extremismus – Verbindungen verstehen und Prävention stärken zeigten Dr. Anton Vereshchagin und Kim Barth (Wegweiser Ostbelgien) auf, dass psychische Erkrankungen und traumatische Erfahrungen zwar eine Vulnerabilität für Radikalisierungsprozesse erhöhen können, jedoch nur als ein Faktor unter vielen wirken – ein kausaler Zusammenhang bestehe hier nicht. Sie betonten zugleich die Gefahr, Extremismus vorschnell zu psychologisieren oder zu pathologisieren, da politische, soziale und ideologische Dynamiken dabei aus dem Blick geraten können. Darüber hinaus wurden Unterschiede zwischen dem belgischen und deutschen System im Umgang mit sensiblen Daten herausgearbeitet und ihre Bedeutung für eine wirksame Präventionsarbeit diskutiert.
Der von Patrick Möller moderierte Workshop „Kalifat auf den Straßen & Comeback der Hizb ut-Tahrir: Antimuslimische Diskurse und die Rolle des Gaza-Krieges“ setzte sich mit der Berichterstattung deutscher Medien zum Nahostkonflikt seit dem 7. Oktober 2023 sowie die daraus resultierende mobilisierende Wirkung Hizb ut-Tahrir nahestehender Akteur*innen auseinander. Anhand von Kurzvideos aus Social Media sowie Beiträgen aus öffentlich-rechtlichen und privaten Medien, ergänzt durch Beispiele aus internationalen Medien, wurde aufgezeigt, wie unterschiedlich der Krieg im deutschsprachigen Raum im Vergleich zu anderen Kontexten dargestellt wird. Darauf aufbauend analysierte der Workshop, wie Akteur*innen im Umfeld von Hizb ut-Tahrir wie die Gruppierungen Generation Islam oder Realität Islam diese medialen Diskurse aufgreifen, zuspitzen und für Mobilisierungs- und Propagandazwecke instrumentalisieren. Im Fokus standen dabei die verwendeten Narrative und Umdeutungsmuster.
Abschließend betonte Möller die zentrale Bedeutung einer differenzierten, kontextualisierenden Berichterstattung ohne pauschalisierende Zuschreibungen gegenüber bestimmten Personengruppen. Nur so lasse sich verhindern, dass der Israel-Gaza-Krieg von Hizb ut-Tahrir nahestehenden Akteur*innen und ihrem Umfeld strategisch gedeutet und instrumentalisiert wird. Zwar habe sich die Berichterstattung seit Kriegsbeginn insgesamt ausgewogener entwickelt, dennoch würden weiterhin einseitige Deutungsmuster reproduziert, die diesen Akteur*innen in die Karten spielten.
Der Workshop Transnationale Präventionsarbeit im europäischen Kontext, moderiert von Kita Boncheva & Rumyana Kucarova (YMCA Dobrich, Bulgarien), verdeutlichte die Vielfalt der Perspektiven im europäischen Netzwerk. Schnell wurde sichtbar, dass europäische Kooperationen stark von heterogenen Begrifflichkeiten, Problemdeutungen und Erwartungshaltungen geprägt sind. Die daraus entstehenden Unterschiede erschweren oftmals die Entwicklung gemeinsamer Projekt- und Antragslogiken.
Es wurden thematische Schwerpunkte benannt, die in den beteiligten Ländern unterschiedlich ausgeprägt sind: Antisemitismus und weitere Erscheinungsformen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit und Männlichkeitsbilder, Identitätskonflikte, autoritäre Einstellungen sowie der gesellschaftliche Rechtsruck. Diese Themen beeinflussen unmittelbar die lokalen Bedarfe, Handlungsschwerpunkte und Zielgruppenansprachen.
Aus den Diskussionen der Teilnehmenden gingen einige zentralen Erkenntnisse hervor:
- Vertrauen in Institutionen ist ein zentraler Erfolgsfaktor für Präventionsarbeit.
- Fachkräfte benötigen Orientierung, Sicherheit und klar definierte Zuständigkeiten im Umgang mit extremistischen Phänomenen.
- Ressourcendruck, institutionelle Unterschiede und räumliche Einschränkungen behindern vielerorts eine bedarfsgerechte Angebotsentwicklung.
- Politische, gesellschaftliche und mediale Dynamiken prägen sowohl die Zielgruppen als auch die Arbeitsrealität von Fachkräften.
- Social Media ist zugleich Handlungsraum für politische Bildung, Kommunikationskanal und Ort digitaler Anfeindungen.
Der Workshop verdeutlichte, dass erfolgreiche europäische Präventionsarbeit von der bewussten Anerkennung unterschiedlicher nationaler Kontexte lebt. Die Teilnehmenden betonten, dass europäische Zusammenarbeit trotz ihrer Herausforderungen ein großes Potenzial für gegenseitiges Lernen, Perspektivenvielfalt und die Weiterentwicklung wirksamer Präventionsansätze bietet.
Im Workshop Diskriminierungserfahrungen als potentieller Radikalisierungsfaktor – Rassismussensibilität als Gelingensfaktor von Prävention und Deradikalisierung? von Figen Denk & Wael Alokla (Fach- und Beratungsstelle SALAM Sachsen-Anhalt, Hallesche Jugendwerkstatt gGmbH) wurden im ersten Teil die Auswirkungen von Rassismus sowie Diskriminierungs- und Marginalisierungserfahrungen aus sozialpädagogischer und psychologischer Perspektive thematisiert. Im Austausch wurde dabei deutlich, wie wichtig es ist, dass Fachkräfte die Lebensrealitäten von Betroffenen konsequent in ihre tägliche Arbeit einbeziehen.
Darüber hinaus wurde herausgearbeitet, wie islamistische Akteure solche Erfahrungen gezielt aufgreifen und instrumentalisieren. Indem sie auf Konzepte wie das des „Gharib/Guraba“ (des „Fremden“) zurückgreifen, erzeugen sie u.a. Aufwertungsmechanismen: Ausgrenzungserfahrungen werden umgedeutet und Personen als Teil einer „besonders auserwählten“ Gruppe angesprochen, um sie für ihre Ideologien zu gewinnen.
Eine an die Workshops anschließende Fishbowldiskussion bot den Teilnehmenden die Möglichkeit, über die beiden Veranstaltungstage ins Gespräch zu kommen, Erkenntnisse aber auch offene Fragen zu diskutieren, bevor die Veranstaltung mit einer Abschlussreflektion von Karin Meißner (Yallah – Fach- und Präventionsstelle antimuslimischer Rassismus und religiös begründeter Extremismus / FITT gGmH, Vorstand BAG RelEx) abgerundet wurde.