24. September 2024 | BAG RelEx
Stärken, schützen oder verhindern? | Policy Brief No 1
Die Rollen von Extremismusprävention in demokratischen Gesellschaften
Jährlich veröffentlichte Berichte wie die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) oder die Fallzahlen für Politisch Motivierte Kriminalität lösen zwangsläufig Rufe nach aber auch Diskussionen über Prävention von Politik und Presse aus. Intensiver werden die öffentlichen Debatten aber vor allem dann, wenn es um gravierende Vorfälle wie dem Messerangriff im Mai 2024 in Mannheim oder um zum Beispiel Demonstrationen der islamistischen Gruppe Muslim Interaktiv in Hamburg geht. Es werden neben besserer Ausstattung von Justiz- und Sicherheitsbehörden ein stärkerer Fokus auf Prävention gefordert oder sogar ganz neue Ideen wie eine Akademie für Prävention und Kriminalwissenschaften ins Spiel gebracht.
Obwohl nachvollziehbar, haben diese Rufe von Politik und Presse gemein, dass sie zunächst relativ alarmistisch vorgetragen werden. Auch hier ist die Empörung, die in den Reaktionen auf akute Vorfälle folgt, nachvollziehbar. Jedoch lassen sie bestehende Maßnahmen und Einrichtungen im Bereich der Prävention und Distanzierung von religiös begründetem Extremismus zu großen Teilen außer Acht. Hinzu kommt, dass die tatsächliche Rolle von Extremismusprävention für den Erhalt und die Weiterentwicklung einer demokratischen Gesellschaft scheinbar missverstanden ist. Ausgehend von ursprünglichen Anforderungen an die Prävention geht es zwar auch um die Verhinderung von extremistischer Gewaltbereitschaft und Gewalttätigkeit. Allerdings wird dieses Interesse vorrangig durch den Erhalt und das Fördern gemeinsamer (demokratischer) Werte verfolgt.
Zivilgesellschaftliche Präventionsarbeit hat gegenüber anderen Akteuren den Vorteil, dass sie einen direkteren Zugang zu Zielgruppen aufbauen kann. Denn als nicht-staatliche Akteur ist ihr inhärent, dass ihr häufig mehr Vertrauen entgegengebracht wird, als es zum Beispiel bei Sicherheitsbehörden der Fall ist. Auch die Möglichkeit, in nicht sicherheitsrelevanten Bereichen zu arbeiten und daher nicht Verhinderung von Gefahr oder Bedrohungsabwehr als primäre Motivation zu verfolgen, ist eine Stärken zivilgesellschaftlicher Akteure. Die Angebote bauen wesentlich auf demokratiebildnerischen, pädagogischen und interkulturellen Bildungsansätzen auf und sind eine grundlegende Ergänzung zu sicherheitsspezifischen Ansätzen im Bereich Aufbau und Erhalt von demokratischen Gesellschaften.
Handlungsempfehlungen
Mit Blick in die Zukunft ist es unabdingbar,
- die bestehenden zivilgesellschaftlichen Strukturen als einer der Kernkonzepte innerer Sicherheit zu verstehen und dementsprechend mitzudenken. Eine neue Auslegung der Förderstruktur sollte eine Konsolidierung bestehender Akteure, Projekte und Netzwerke anstreben, um so auch Transparenz, Qualitätsmanagement sowie überregionale Ansprechpartner zu fördern und unterstützen.
- Anstatt sich auf eine Verschärfung des Aufenthaltsrecht zu konzentrieren, müssen Inhalte im Netz genauer abgegrenzt und anhand verfassungsrechtlicher Kriterien definiert werden. Unter Mitwirkung von Expertise aus dem zivilgesellschaftlichen, akademischen und sicherheitsbehördlichen Sektor muss, wie im Bereich des Rechtsextremismus, auch der religiös begründete Extremismus inhaltlich operationalisiert werden. Es muss eine eindeutige Gesetzesgrundlage geschaffen werden, die aussagt, wann es sich um verfassungsfeindliche Inhalte handelt und wann um Meinungsfreiheit.
- Vor dem Hintergrund der derzeitigen Lage, die sich hinsichtlich neuerer Entwicklungen und Dynamiken im Kontext von Extremismus aller Art zu verschärfen scheint, ist eine weitere Professionalisierung bestehender Strukturen unabdingbar. Nur so kann den Herausforderungen, die sich vor allem im Bereich der Onlineradikalisierung stellen, begegnet werden. Zur derzeitigen Lage gehört aber auch die Diskussion um Weiterentwicklung von Demokratieförderung, die in nicht wenigen Fällen über Existenzen entscheidet, an vielen Stellen allerdings politisch weniger pragmatisch und mehr ideologiegeleitet geführt zu werden scheint.
Laden Sie hier das Policy Brief No 1 (PDF) herunter.
Ansprechpersonen für Rückfragen
Inhaltliche Rückfragen: Miriam Katharina Heß
Presseanfragen: Charlotte Leikert
Die Autor*innen
Miriam Katharina Heß ist seit 2024 Fachreferentin für religiös begründeten Extremismus bei der BAG RelEx. Sie studierte National and International Administration and Policy an der Universität Potsdam sowie Politikwissenschaften an der Universität Hamburg. Aktuell untersucht sie im Rahmen ihrer Promotion die Sicherheitsrhetorik von Terrorismus im Kontext von Versicherheitlichung in Europa an der Universität Leipzig.
Ivo Lisitzki ist seit 2024 Fachreferent für religiös begründeten Extremismus bei der BAG RelEx. Er hat Politikmanagement (BA) und International Relations Middle East (MA) in Bremen, Istanbul und Durham studiert und im Anschluss vor allem zu religiös begründetem Extremismus in Zusammenhang mit Strafvollzug, Bewährungshilfe und Wiedereingliederung in die Gesellschaft bei der Senatorin für Justiz und Verfassung in Bremen gearbeitet und publiziert. Darüber hinaus hat Ivo Lisitzki in verschiedenen europäischen Projekten im Themenfeld Radikalisierung, Risk Assessment und Evaluation mitgewirkt.
Jamuna Oehlmann ist Co-Geschäftsführerin der BAG RelEx und seit 2020 auch Koordinatorin des Kompetenznetzwerks „Islamistischer Extremismus“ (KN:IX). Sie verfügt über einen akademischen Hintergrund in Asienwissenschaften sowie Internationale Beziehungen und Diplomatie, den sie in Berlin, Bangkok und London erworben hat. In ihren Studien hat sie sich insbesondere mit Fragen der internationalen Sicherheit und des Terrorismus auseinandergesetzt.
Über policy:brief
Das policy:brief der BAG RelEx fasst Positionen und Erkenntnisse aus unserer Arbeit prägnant zusammen und nimmt dabei besonders Bezug auf aktuelle gesellschaftspolitische Themen und Herausforderungen. Das policy:brief geht auf der einen Seite einen Schritt zurück und erklärt Zusammenhänge und auf der anderen Seite einen Schritt weiter, indem es zielgruppenorientierte und -gerechte Handlungsempfehlungen enthält. Unsere Arbeit und die unserer rund 40 Mitgliedsorganisationen wird so zielgruppengerecht kommuniziert und der Austausch mit externen Stakeholdern und Akteuren aus Wissenschaft, Politk, Verwaltung und Wirtschaft unterfüttert. Hier kommen Sie zur Übersicht der Ausgaben.